Das ist mal keine Buch-Rezi und auch keine neuen Infos zu meinen Projekten, sondern ein Artikel, den ich gerne mit euch teilen möchte. Im Weitesten hat er auch etwas mit Büchern zu tun, mit denen, die man so hübsch ausmalen kann. Und warum zeige ich euch das?
Weil ich gestern in der Albertina war, einem Kunstmuseum, und danach, wie immer, habe ich mich im Shop umgesehen, auf der Suche nach einem neuen, informativen Buch über Kunst und allem, was dazu gehört.
Und was fand ich da?
Malbücher. Nicht eines oder zwei. Sondern ein riesiger Tisch war dem Ausmalen gewidmet. Hübsch sahen sie ja schon aus. Ich fand sie faszinierend. Das hatte ich das letzte Mal in der Grundschule gemacht. Aber da stand explizit "für Erwachsene" drauf.
Natürlich hatte ich von dem Trend schon gehört, aber ich hab sie das erste Mal gesehen, in der Menge, in einem Museum.
Tja und jetzt las ich das und fand, dass es sehr gut zu meiner Verwunderung passt und daher hier für euch zum selber lesen. :D
Nazgûl und Malbücher
Geht Ihnen wahrscheinlich auch manchmal so: Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Ich meine, richtig nicht stimmt. Denn irgendetwas stimmt ja immer nicht: Despoten verstecken ihr Geld in Panama, Fußballer sind länger unkonzentriert, als das für das Ergebnis ihrer Mannschaft gut wäre, der Papst erlaubt die Schwulenehe für ehemalige Bischöfe doch nicht sofort, Politiker vergessen für einen Moment, der manchmal ein ganzes Interview dauern kann, alles, was sie vielleicht ohnehin nie gewusst haben, Autofahrer sind aggressiv, die öffentlichen Verkehrsmittel bringen einen trotz verfassungsrechtlicher Bedenken an seine olfaktorische Obergrenze, was weiß ich. Das meine ich nicht. Ich meine das Gefühl, dass etwas wirklich wirklich nicht stimmt. Am ehesten fühlt sich das an wie ein kurzes Ruckeln im Raum-Zeit-Kontinuum, unnatürlich laute Totalstille, die Ruhe vor dem Sturm, irgendetwas in der Art.
Vielleicht so, wie der Moment in „Herr der Ringe“, in dem die Bewohner von Mittelerde bemerken, dass Nazgûl im Anmarsch sind, „weder tot noch lebendig“, die Zombie gewordene Totalbedrohung der Existenz, empfunden als Stillstand der Zeit. Anzeichen gab es schon immer, denken wir nur an die Leaks, die der Blogger Johannes um 100 n. Chr. von Patmos aus an die sieben christlichen Redaktionen in Kleinasien geschickt hat. Dort kündigen unter anderem vier Reiter das Kommende an, der Sieger mit Bogen auf dem weißen Pferd, der Mann mit dem Schwert auf dem feuerroten, der Mann mit der Waage auf dem schwarzen und der Tod auf dem fahlen Gaul. In meinem Fall war es etwas weniger dramatisch, ich habe in mehreren deutschen Zeitungen zugleich gelesen, dass sich momentan Malbücher für Erwachsene besonders gut verkaufen. Malbücher. Für Erwachsene. Blumenfelder mit Maikäfern, Pferdeställe mit Fohlen, Hafer, Stroh, Katze, Hund und Pferdegacki. Kleinteiliger als für Kinder, sonst exakt gleich.
Ungefähr so habe ich mir das Ende der Zeiten immer vorgestellt: Nazgul, die ihren Todeshauch aus den Wolken zischen, das ganze Programm des Hiernonymus Bosch inklusive den nackten Menschen, die auf der scharfen Klinge eines Messers nach oben rutschen müssen, bei lebendigem Leib gut durchgeschmorte Säuglinge, und Erwachsene, die sich auf ihre Malbücher konzentrieren, damit nicht das Rot der Blüte mit dem Grün des Stängels kollidiert, denn das würde nicht sehr schön aussehen. Woher der kollektive Irrsinn kommt, weiß ich nicht. Vielleicht haben wir ja tatsächlich unser Sündenkonto überzogen und der Herr schickt uns Malbücher, weil der Klimawandel eine Sintflut nicht mehr hergibt. Auf Spiegel Online hab ich heute früh gelesen, dass sich der Nordpol gerade wieder einmal verschiebt, die Erde um ihre Achse zu ruckeln beginnt und irgendwie am Kippen ist. Das ist schon ein paar Mal passiert, einmal hat es dabei Amerika weit aus dem Süden an den Äquator verschlagen. Vielleicht kommt ja jetzt wieder alles ins Lot.
(Text von Michael Fleischhacker, NZZ.at)
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